katharina ramser - regie
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VÖGEL

Goettinger-tageblatt.de

Inszenierung von "Vögel" ist ein ganz großer Wurf

Peter Krüger-Lenz, 22.September 2019

Romeo und Julia treffen sich diesmal in einer Bibliothek in New York. Romeo heißt hier Eitan. Er ist Genforscher, ein eloquenter akademischer Weltbürger. Julia heißt Wahida. Die Historikerin promoviert über die historische Figur Al-Hasan al-Wazzan, auch bekannt unter dem Namen Leo africanus. Ein Diplomat und Denker zwischen dem muslimischen und dem christlichen Glauben. Eitan ist Jude. Im Alter von 15 Jahren zog er von Israel nach Berlin. Vater und Mutter hatten sich getrennt. Inzwischen forscht er in New York. Wahida ist US-Amerikanerin mit arabischem Migrationshintergrund. In einer globalisierten Welt und einer aufgeklärten Gesellschaft dürfte ein Liebe zwischen einem Juden und einer Araberin kein Problem sein, sollte man meinen. Doch als Eitan Wahida seinen Eltern vorstellt, kommt es zum Eklat. Eitans Vater nennt ihn Vatermörder, wenn er eine Beziehung mit dem arabischen Feind eingeht.

Finsteres Geheimnis
Das junge Paar reist nach Israel, um sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu begeben, aber auch auf der Spur eines finsteren Geheimnisses in Eitans Familie. Seine immer noch in Israel lebende Großmutter soll Licht ins Dunkel bringen. Vorher allerdings wird Eitan bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt. Seine Familie reist aus Berlin an. Die Situation eskaliert komplett.
Einen schweren Stoff hat das DT-Leitungsteam zum Start der Spielzeit im Großen Haus auf den Spielplan gesetzt. Knapp drei Stunden lang ringen die Beteiligten mit sich, mit ihrer Geschichte, ihrem Glauben und ihren Gespenstern. Die Spannung bleibt über die gesamte Spieldauer hoch. Nichts ist Tändelei, nichts überflüssig. Mit kompakter Wucht bricht die Geschichte über das Publikum herein.

Die ganz großen Gefühle
DT-Intendant Erich Sidler verglich Mouawads Stück im Anschluss an die Premierevorstellung mit der Ringparabel Lessings. „Vögel“ sei „eher Tragödie als Befindlichkeitsgedöns“. Die dramatische Überhöhung fordere, sich an die ganz großen Gefühle zu wagen. Tatsächlich wagen die Akteure viel und leisten Großes auf der Bühne. Denn Mouawad hat Figuren geschaffen, die enorm konfliktbeladen sind. „Dem müssen sich die Schauspieler stellen“, sagte Sidler. „Das bringt schlaflose Nächte.“

Brillantes Ensemble
Auf ganz hohem Niveau agiert das Ensemble. Florian Eppinger, Angelika Fornell, Marco Matthes, Katharina Müller, Anna Paula Muth, Gregor Schleuning, Andrea Strube und Paul Wenning steigern sich geradezu in einen Spielrausch. Erstaunlich vor allem, mit wie viel Größe Muth Wahida spielt. Frisch von der Schauspielschule in Hannover engagiert, reiht sie sich umstandslos ein in ein brillantes Ensemble. Für Regisseurin Katharina Ramser ist „Vögel“ die fünfte Produktion am DT. Unter anderem brachte sie „Terror“ in dem Haus am Wall auf die Bühne, ein überragender Erfolg. Auch diesmal ist ihr ein ganz großer Wurf gelungen, weil sie die Geschichte und die Verstrickungen des Figurentableaus überaus präzise und konzentriert ausgebreitet hat.

Sparsam und effektiv
Zu der großen Präsenz trägt auch das Bühnenbild bei, das Jeremias Böttcher mit Neonröhren sehr klar gestaltet hat. Mit Licht hat er Räume und Stimmungen geschaffen. Eine Drehbühne kommt sparsam und effektiv zum Einsatz. Unauffällig, aber unterstützend hat Franziska Ambühl die Kostüme entworfen, alltags- und bühnentauglich eben. Große Dramatik und Spannung trägt den Abend, die sich manchmal aber auch in befreiendes Lachen lösen. Hierfür ist vor allem Großvater Etgar zuständig, gespielt von Wenning. „Und du glaubst, Gott hat ein ganzes Volk geschaffen nur um uns zu strafen?“, sagt er einmal zu seinem Sohn. Klingt so überzeugend wie die ganze grandiose Produktion. Intendant Sidler meint, dass der Autor und sein Werk die Zeit überdauern werden. Diese Familiengeschichte, die eine große Geschichte von Hass und Glaube ist, von Wurzeln und Identität, unterstreicht das nachdrücklich.

katharina ramser | lilienweg 18 | ch-3007 bern | t +41 31 331 04 47,


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