katharina ramser - regie
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Die letzten der Weissen Männer

Jan Fischer, NACHTKRITIK, 1.10.2016


Peak White oder Wirr sinkt das Volk – In Göttingen schauen Kevin Rittberger und Katharina Ramser aus der Zukunft auf die völkischen Rechten und finden Demenz

Die letzten der weißen Männer von Jan Fischer Göttingen, 30. September 2016. Wir befinden uns in einer nahen Zukunft. Die letzten der weißen Männer, Akteure des "letzten deutschen Volksaufstands" rollen auf elektrischen Rollstühlen durch einen klinisch weißen Raum. Hin und wieder krakeelen sie durch den Nebel ihrer Altersdemenz "Deutschland erwache!", oder murmeln etwas davon, dass sie Reichsbürger seien. So sieht der Rahmen aus, den Kevin Rittbergers Text "Peak White oder Wirr sinkt das Volk" sich steckt, das zeitgleich am Deutschen Theater Göttingen und am Theater Heidelberg Premiere feiert. Aus der wohltuend entfernten Perspektive Near-Future-Utopie betrachtet der Text die rechten Bewegungen unserer 2010er Jahre. Diejenigen, die sich heute so wichtig nehmen, leiden in Rittbergers Zukunft an altersbedingtem Bedeutungsverlust und ihre einst gefährlichen Parolen sind nicht mehr von den eingebildeten Zuständen ihres Gedächtnisverlustes zu unterscheiden. Gebrabbel im Whitecube In Göttingen inszeniert Katharina Ramser das Stück, die Bühne rein weiß, ein großer, leerer Whitecube, in dem die alten Herren ihren Lebensabend in endlosen Runden auf ihren Rollstühlen verbringen und niemand interessiert sich für sie. Alles ist Routine, solange, bis die Pflegerin Amsel (eine umgeschulte Schauspielerin) vom Pflegeroboter Tante Atlanta abgelöst wird. Dessen Rassismus-Wortfilter mit dem Gebrabbel der alten Herren nicht klarkommen. Das sei der Punkt, sagt sie, an dem die Redefreiheit aufhöre. Also bringt sie sie einen nach dem anderen um. Es könnte so einfach sein Whitecube, übertrieben auf alt geschminkte Schauspieler, die Komik des elektrischen Rollstuhlballettes und die Absurdität der von den alten, dementen Männern deklamierten Parolen aus der Vergangenheit, ein paar Schockmomente, wenn die Brandparolen aus vollem Herzen von der Bühne herunter gebrüllt werden, eine Künstliche Intelligenz, die ambivalent moralisiert und die Utopie langsam zugunsten von etwas Dunklerem auflöst. Kann man so machen. Aber so einfach ist es selbstverständlich nicht. Gleich am Anfang lässt sich die Pflegerin Amsel als Mistkäfer verkleidet von der Decke herab und wirft mit ihren Patienten einen Dungball hin und her. Kinder tauchen auf, mit Masken, die den Gesichtern der alten Männer ähnlich sehen, spielen Verstecken und singen im gruseligen Kinderchor. Der Pflegeroboter gibt in einem langen Monolog die Geschichte des Nationalismus vom Deutschen Reich bis in die Jetztzeit zum Besten, möchte dann aber Schauspieler werden, leiht sich von Amsel das Käferkostüm und spielt eine Kurzversion von Kafkas "Verwandlung". Dann kommt der Meta-Move, Amsel meint, das Theater sei der letzte Ort, an dem die Kultur der alten, weißen Männer sich selbst feiern könne. Es gibt zwei, drei Musical- Einlagen. Die weißen Männer waren dann doch keine Rassisten und Nationalisten, sondern V-Männer, die ihre Einstellung wie eine Maske an- und ablegen können. Und Tante Atlanta fragt, ob man denn auch die Algorithmen und Künstlichen Intelligenzen mit offenen Armen in der Gesellschaft empfangen würde. Besoffen von Referenzen und Reflektionen Es ist ein schöner Kunstgriff des Autors, die Debatte um rechte Tendenzen und Bewegungen in der Gesellschaft aus der sicheren Entfernung einer nahen Zukunft zu betrachten – das nimmt ihr viel Feuer und Sprengkraft, und erlaubt einen ruhigeren Blick. Vor allem aber erlaubt es ihm, absurde Parolen als solche zu enttarnen, ohne ihnen ihre Kraft zu nehmen: "Deutschland erwache!" in einem Theater von der Bühne zugebrüllt zu bekommen, tut weh, zumindest in dieser Inszenierung, und sei es aus Gründen der Altersdemenz. Der leere, weiße Raum bietet viel Platz für die Fallhöhe zwischen den Parolen und der Komik der auf alt geschminkten Schauspieler in ihren elektrischen Rollstühlen. Allerdings verliert sich die Inszenierung irgendwann fast schon besoffen in ihren eigenen Referenzen und Reflektionen, zieht Ebene um Ebene ein, wo es vielleicht gar keine bräuchte. Ein kleiner geschichtlicher Exkurs? Gut und schön. Eine kurze Reflexion des Theaters als Inszenierungsraum der Geschichte? Ja, warum nicht. Eine Debatte um Künstliche Intelligenzen anreißen? Ist vielleicht ein bisschen viel. Was soll der Chor der alten Kinder? Warum unbedingt Musicalnummern? Warum der Mistkäfer, woher kommt jetzt Kafka? Das alles erklären Text und Inszenierung kaum. "Peak White“ ist ein kluges Stück und eines, das an seiner eigenen Absurdität Spaß hat. Aber es ist auch irrsinnig dicht gepackt und steht sich damit letzendlich oft selbst im Weg.

Bettina Fraschke, HNA 4.10.16


Am DT in Göttingen werden in „Peak White oder Wirr sinkt das Volk" Ewiggestrige vom Roboter gepflegt

Selig mit den alten Parolen Göttingen. Aus der Demenz tauchen die alten Männer nur auf, wenn sie durch nationalistische Sprüche geweckt werden. Kauerten sie eben noch wie sediert in ihren Rollstühlen, baut sich durch die alten Parolen sofort wieder Körperspannung auf. „Wir sind Elite – unter uns Gewürm“, skandieren sie, und „Deutschland, erwache!“. Im Heim für altgewordene Burschenschafter nutzt die Pflegerin diesen Effekt für ihre Erinnerungsübungen, stachelt die Herrschaften mit Heimatliedern so lange auf, bis sie „Theater, Fernsehen, Presse – allen auf die Fresse“, brüllen und sich an jene gloriosen Zeiten erinnern, als Mitte der 2010er-Jahre Rechtspopulisten, Migranten- und Schwulenablehner im Land Oberwasser hatten. Auf jeden Fall in ihrer Eigenwahrnehmung Theaterautor Kevin Rittberger entwirft eine von uns vielleicht 30 Jahre entfernte Zukunft, in der vier Pegida-Parolen-Brüller, und nationalistische Welt-Simplifizierer die letzten Vertreter einer Ära der Dominanz der alten weißen Männer sind. In einem Pflegeheim sind sie unter sich. Dies ist das Ausgangsszenario für sein verstörendes, klasse vertracktes, aber thematisch auch recht überladenes Auftragsdrama „Peak White oder Wirr sinkt das Volk“. Das Deutsche Theater in Göttingen bringt es in einer Doppelpremiere mit dem Theater Heidelberg zur Uraufführung. In Göttingen gab es viel Applaus für den dichten 100-Minüter im nicht vollen Haus. Regisseurin Katharina Ramser bringt Übersichtlichkeit in die vielen Themenfelder, indem sie die Handlung in einen vollkommen stilisierten Kontext rückt. Auf der weißen, leeren Bühne von Elisa Alessi (auch Kostüme) drehen die Elektrorollstühle schnurrend ihre Runden, es schwebt aber auch mal die als Mistkäfer verkleidete Pflegerin von der Decke herab. Und – eine wunderbar gruselige Idee – Kinder treten auf, die exakt so aussehen, wie die vier Alten, mit deren Trainingshose, Frotteeschlappen, Feinrippunterhemd und Uniformjacke. Die Gesichter sind bedeckt mit Altmänner-Masken, die an den kleinen Personen wirken wie aus einem Horrorfilm. Florian Eppinger, Andreas Jeßing, Marco Matthes und Nikolaus Kühn geben wunderbar differenziert die vier Typen wieder, die in Fantasien einer ethnisch homogenen Welt schwelgen, in denen „Bimbos“, „Schlitzaugen“ oder Mandalas malende Lehrerinnen keine Rolle spielen. Immer wieder wenden sie sich direkt ans Publikum um etwa zu betonen, dass das Theater der letzte Ort sei, wo man sich noch selbst feiern könne, Türken blieben ja draußen. Ergiebiger als Exkurse zu aktuellen Trends im Theater oder zu Defiziten des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung der Naziszene ist der Handlungsstrang, in dem Pflegerin Amsel (Andrea Strube) durch Roboter Atlanta ersetzt wird. Gabriel von Berlepsch spielt ihn toll exaltiert, in der Körpersprache wie ein enger Verwandter der höflichen „Star Wars“-Figur C3PO. Immer, wenn rassistisch oder identitär salbadert wird, schreitet Atlanta ein. Der Roboter ist darauf progammiert, Unwahrheiten und Geschichtsklitterungen zu unterbinden. Das erzeugt zunächst ein Gegengewicht. Später aber befördert Atlanta die Ewiggestrigen ins Jenseits. Wenn der Roboter dann die radikalst mögliche Methode des Gleichschaltens von Ansichten vollzieht, handelt er plötzlich ähnlich Pluralitäts-verachtend, wie es die alten weißen Männer waren.

katharina ramser | lilienweg 18 | ch-3007 bern | t +41 31 331 04 47,


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