katharina ramser - regie
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Breites Grinsen und Kloss im Hals

Nicht verpassen:
Musikrevue „Nur noch kurz die Welt retten!“ am Pfalztheater –Schauspieler und Kollegen in Hochform

Die Rheinpfalz vom 15. Juni 2015 Von Fabian R. Lovisa


Das pfalztheater-Schauspiel kommt in Sachen Wandlungsfähigkeit einem Chamäleon gleich: Unvergessen seine Tanzperformance unter dem Titel „Galaxy 21“, die das ursprünglich vorgesehene Schauspiel „Liebe und Information“ in der vergangenen Saison ersetzte, nachdem Regisseurin Christina Friedrich den Text der Vorlage strich. Nun wurde aus der letzten Schauspielproduktion der Saison mit dem ursprünglichen Arbeitstitel „Europa Revue“ die „Musikrevue „Nur noch kurz die Welt retten!“ Fürs Schauspielensemble war’s die Gelegenheit zu beweisen, dass es nicht nur Ausdruckstanz, sondern auch noch die Gesangssparte beherrscht. Und fürs Publikum war’s ein Riesenspass mit deutlichen nachdenklichen Untertönen.

Dass Lieder mehr als 1000 Worte sagen, um die Welt gehen und eine Brücke sein können, nahmen Regisseurin Katharina Ramser und Michael Erhard, musikalische Leitung, wörtlich. In rund 50 Nummern, etliche davon im Medley kombiniert, lassen sie 100 Jahre deutsche Geschichte greifbar werden. Dabei kommt ihnen zupass, dass die Lieder – wie überhaupt die Kultur – Zeitgeschichte reflektieren, entweder im direkten Bezug oder gerade in Abgrenzung zu den Geschehnissen. So packen Kreislers „Liebesleid“ und Tucholsky/Eislers „Der Graben“ den Zeitgeist und die Stimmung rund um den Ersten Weltkrieg. Und harmlose Blödeleien wie „Ausgerechnet Bananen“ oder die Nummer vom „Mayer am Himalaya“ werden als Reaktion auf die überstandenen Kriegsgräuel verständlich. Auch die seelenvollen Titel der Comedian Harmonists („Liebe der Matrosen“, „ein Freund“, „Wochenend und Sonnenschein“) drücken die Sehnsucht nach einer heilen Welt aus. Bis dann das Grauen in Form des „Horst Wessel Liedes“ dem Spass ein Ende macht, hintersinnig kontrastiert von einer Klezmer-Klarinetten-Improvisation und der in drei Sprachen dahingehauchten „Lilli Marlen“. Ein dritter musikalischer Abschnitt widmet sich dann der Nachkriegszeit respektive dem Wirtschaftswunder und greift dabei auch die Entwicklung der beiden deutschen Staaten auf („Lied vom Wirtschaftswunder“, „Auferstanden aus Ruinen“, „Komm ein bisschen mit nach Italien“). Rock’n’roll und Mauerbau („Sweet little sixteen“, „Preussischer Ikarus“), Punk und Mauerfall („Sonderzug nach Pankow“, „RauchHausSong“) sowie abschliessend EU und Globalisierung („Taxi Europa“, „Lied vom Kapitalismus“, „Nur noch kurz die Welt retten“) sind die restlichen Kapitel dieser musikalischen Geschichtsstunde. Neben der geschickten Auswahl der Titel, die durchaus einen gewissen repräsentativen Anspruch erheben darf, sind es die Interpretationen des Sextetts und des begleitenden Trios, die die zweieinhalbstündige Revue zum Riesenspass mit starken nachdenklichen Seiten werden lassen. Die Schauspieler Monke Ipsen, Oliver Burkia, Günther Fingerle und Jan Henning Kraus stehen dabei stimmlich ihrer „Verstärkung“ aus dem Musicalfach in Gestalt von Adrienn Cunka und Astrid Vosberg kaum nach und machen einen etwaigen Abstand durch darstellerische Qualitäten mehr als wett. Mit Liebe zum Detail lässt das Sextett in Solo- und Satzgesang die Nummern aus längst vergangenen Jahrzenten auferstehen und punktet mit viel Humor, wobei sich die junge Monke Ipsen erstmals komödiantisch in die bekannten Höhen ihrer Kollegen spielt. Allesamt formen die Akteure mit grossem Einfühlungsvermögen Charakterminiaturen, personifizieren im besten Wortsinne die Texte. So entstehen ganz eigene Interpretationen, die mit ihren Vorlagen manches Mal nicht viel mehr als der Wiedererkennungseffekt verbindet. Kongenial begleitet die Band mit Erhard am Klavier, Harald Pfeil (Gitarre und Schlagzeug) sowie Jens Hunstein (Klarinette und Saxophon). Zusammen schaffen sie die verschiedensten Stimmungen, von der anrührenden Abschiedsballade, über die weltverlorene Liebeserklärung bis zum knalligen musikalischen Klamauk. Die Arrangements sind ausgefeilt, ebenso einfallsreich ist die Regie der kleinen Spielszenen, zu denen mancher Titel avanciert, stilsicher sind die Kostüme (Stefanie Liniger, auch Bühne). Dramaturgisch geschickt bauen die Nummern im Wechsel der Temperamente Spannung auf. Komödiantischer Mutwillen und beachtliche Einfühlsamkeit gehen dabei eine enge Beziehung ein, was dem Publikum manches Mal direkt nach einem breiten Lächeln auf dem Gesicht einen dicken Kloss der Rührung im Hals beschert. Ein Abend, den man nicht verpassen sollte!

katharina ramser | lilienweg 18 | ch-3007 bern | t +41 31 331 04 47,


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